Gemeinde Bremen-Neustadt

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Rassismus im Alltag

Rassismus im Alltag

Ein persönlicher Bericht von Lennard-Jatoe Dierssen

Ich bin Lennard-Jatoe, 17 Jahre alt, Member der Gemeinde Neustadt.
Und ich möchte nun einmal über meinen erlebten Rassismus im Alltag berichten. Dabei werde ich Beispiele von Rassismus benutzen, die entweder mich oder andere betreffen.

Wenn Lehrer offen rassistisch sind…

Ich fange direkt mit dem wohl schlimmsten Erlebnis meines bisherigen Lebens an. Neben ein paar „Hänseleien“ mit dem Wort „Neger“ oder Wortspielen wie „Neger….tiv“ (negativ), war mein Schulleben von der 1. bis zur 5. Klasse eigentlich relativ frei von Rassismus.
Dieses veränderte sich jedoch, als in Afrika Ebola ausbrach. Plötzlich wurde ich auf dem Schulhof gemieden, Leute rannten vor mir weg und sagten, ich hätte Ebola. Ich persönlich fühlte mich in diesen Situationen, als sei ich selber der Virus.
Als meine Mutter daraufhin meinen Klassenlehrer auf diese Problematik ansprach, sagte dieser: „Frau Dierssen, der Junge ist nun einmal schwarz, was nun wirklich nicht mein Problem ist.“ Des Weiteren ärgerte und belustigte sich eben genau dieser Lehrer darüber, dass ich anscheinend ein so großes Problem mit dem Wort „Neger“ hätte, denn es bedeutete (laut ihm) ja „nur“ „schwarzer Sklave“…
Damals war ich ein kleiner hilfloser Junge, der anfing, diese Zusammenhänge verstehen zu wollen! Ich fühlte mich ohnmächtig und den mir wichtigen Personen – wie Lehrern – ausgeliefert. Auch wie verraten an die Gesellschaft. Eine Einstellung gegen meinen Willen! Ein Rassismus, dem ich ausgeliefert war, obwohl mein tiefstes Empfinden auf der anderen Seite verwurzelt in mir war. So habe ich das, bis zu diesem Zeitpunkt, von den mir vertrauten Menschen erlebt!

Veränderungen seit der Flüchtlingskrise 2015

2015 nahm das ganze Thema für mich eine weitere, breit basierte Wende! Mit dem Zuwachs an geflüchteten Menschen aus Krisengebieten stieg die Spaltung der Gesellschaft zu diesem Thema! Plötzlich fand ich mich auf der Seite der geflüchteten Menschen wieder, obwohl ich schon 12 Jahre ein Bremer Junge war!
Der Blick auf mich durch die Mitmenschen war plötzlich stigmatisierend und gruppierend!
Ich denke, seit dieser Zeit gibt es auch den Rassismus, der schon so tief im Alltagsumgang der Gesellschaft integriert ist, dass er „normal“ oder „harmlos“ erscheint. So werde ich, egal wo ich bin, immer gefragt „Wo kommst du her…?“

Polizei und Rassismus

Vor zwei Jahren hatte ich eine unverhoffte Begegnung mit der Polizei, ohne dass ich mir etwas zu Schulden hatte kommen lassen!
Die erste Frage, die mir ein Polizist stellte, als er mich halb vom Fahrrad riss und anhielt, war: „Sprichst du deutsch?“ Dann kann nur noch: „ Pass? Muss kein Deutscher sein…!“
Ich wurde im weiteren Verlauf behandelt wie ein Mensch dritter Klasse! So wäre man mit einem weißfarbigen Jugendlichen, der gekleidet ist wie ich es war, sicherlich nicht umgegangen.

Klassischer Alltagsrassismus

Fragen, die mir Freundinnen meiner Oma stellen, sind: „Hast du dich schon an das deutsche Wetter gewöhnt?“ oder: „Was isst du denn hier so?“ oder: „Schwärzer brauchst du aber nicht werden, oder?“
Das alles ist sicherlich aus dieser Generation nicht böse gemeint, aber gerade das macht es so schlimm. Es scheint also aus der Sicht vieler unmöglich zu sein, dass ein Mensch, der keine weiße Hautfarbe hat, „deutsch“ ist. Und so etwas geschieht im 21. Jahrhundert.
Zu den beschriebenen wirklich „extremen“ Beispielen kommt dann der wortwörtliche „Alltagsrassismus“. Dieser ist oftmals für mein Empfinden „schlimmer“ als eine Beleidigung und richtet sich (gerade in meiner Generation) oftmals gegen Juden, Flüchtlinge und eben explizit gegen „Schwarze“. Gemeint sind Sprüche wie: „Wasser kennst du ja nicht!“ oder: „Dich kann man ja gleich wieder vor die Wand stellen!“

Freunde und Zivilcourage

Ich muss jedoch bei aller „Kritik“ auch hervorheben, wie vorbildlich sich viele bei diesem Thema verhalten.
Ich bin gern mit meinen Freunden unterwegs! Orientiere mich gern in Gruppen mir wohlgesonnener Menschen. Fühle mich in solchen Konstellationen sicherer, als wenn ich alleine unterwegs bin. Mit ihnen zusammen fürchte ich nicht, angefeindet zu werden.
Ich habe Freunde, auf die ich mich verlassen kann und die Zivilcourage haben!

Aufklärung und Dialog

Zum Schluss möchte ich jedoch nochmals hervorheben, wie wichtig ich ständige Aufklärung finde und den immer wieder aufsuchenden Dialog über dieses Thema, mit den daran geknüpften Befindlichkeiten unterschiedlicher Menschen! Totschweigen und Weitermachen ist der größte Nährboden für wachsenden Rassismus!
Dass Menschen unterschiedlich klassifiziert, behandelt und gesehen werden, dass Menschen in den Tod gehen müssen, um eine Sensibilisierung in der Gesellschaft zu erreichen, das ist ein „No go“!
Ich wünsche mir, dass wir in einer Welt leben, wo Chancengleichheit herrscht und wo Menschen an ihren inneren Werten und nicht an Äußerlichkeiten gemessen werden. Wo Individualität den Globus bereichert und nicht die breite Masse meint, die einzig richtige zu sein.
Für diese Gerechtigkeit und Gleichstellung möchte ich als farbiger Mensch kämpfen.

Trotz Andersartigkeit gleichberechtigt sein…

Es gibt Hoffnung, eine Hoffnung, die ich hege, seit ich ein kleines Kind bin. Und nun möchte ich meinen zweiten Vornamen ins Spiel bringen.
Ich heiße Jatoe und das nicht ohne Grund. Der Name kommt aus einem kleinen Völkerstamm im Norden Ghanas und hat die Bedeutung: trotz Andersartigkeit gleichberechtigt sein. Das ist meine Maxime!
Ich bin dankbar, diesen Namen tragen zu dürfen. Eine Bedeutung, die ich in mir trage, die mein Leben trägt und prägt.
Und das alltäglich.

Lennard-Jatoe Dierssen

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